Blick hinter die Katastrophe

Der Aralsee war einst der viertgrösste See der Welt. Doch davon ist fast nichts übrig geblieben, weil ihm die Landwirtschaft Zentralasiens den Wasserhahn zugedreht hat. Uno-Generalsekretär António Guterrez nannte es «die wohl grösste Umweltkatastrophe, die der Mensch in neuerer Zeit verursacht hat».

Zurückgeblieben ist eine neue Wüste, die Aralkum. Sie ist 50’000 km² gross und an vielen Stellen von Salz bedeckt. Stürme wirbeln es auf und verteilen es weitherum auf den Äckern und Häusern. Das gefährdet die Gesundheit der Menschen und die Fruchtbarkeit der Äcker.

Die Länder der Region haben vor Jahren schon den Fonds zur Rettung des Aralsees gegründet. Doch gerettet wird der See nie mehr. Die Menschen brauchen das Wasser für sich.

In Zukunft wird das Wasser weniger werden: die Bevölkerung nimmt stark zu, und der Klimawandel führt im Sommer zu Knappheit.

Wie weiter? Dieser Frage bin ich im Juni auf einer Recherchereise durch Zentralasien nachgegangen. Ich bin mit einigen Antworten und vielen neuen Fragen zurückgekehrt. Die kann man nun nachlesen und hören:

Der verschwundene Aralsee könnte erst der Anfang sein (Text)

«Blue Peace»: Was kann Schweizer Wasserdiplomatie bewirken? (Text)

Aralsee – eine Umweltkatastrophe mit Fortsetzung (Radiosendung)

Homestory mit Eisbären

In der aktuellen Ausgabe von «Science» ist ein bemerkenswertes Paper über Eisbären erschienen. Forscher um Anthony Pagano vom US Geological Survey  haben untersucht, wie viel Energie Eisbären verbrauchen. Darüber gab es bisher nur Schätzungen.

Die Forscher haben auf dem Meereis vor Prudhoe Bay, Nordalaska, elf Eisbären gefangen, betäubt und ihnen einen harmlosen Stoff ins Blut injiziert, mit dem sich später der Energieumsatz bestimmen liess. Zur selben Zeit haben sie den Bären Kameras an einem Halsband umgelegt. So konnten sie sehen, wie sich die Bären fortbewegen, wie oft sie schwimmen oder ruhen – und wie oft sie fressen.

Die Kameras haben einen coolen Einblick ins Leben der Eisbären geliefert (Credit: USGS und Polar Bears International):

Nach acht bis elf Tagen haben die Forscher die Eisbären wieder gefangen, eine Blutprobe entnommen, sie gewogen, und die Kameras geborgen. Die Messungen ergeben ein beunruhigendes Bild: Fünf von neun Eisbären haben in der Messperiode abgenommen, obwohl es Frühling war und damit eigentlich eine gute Jagdzeit.

Eisbären können fasten, wenn ihnen das Jagdglück nicht hold ist, aber die Stoffwechseltests zeigten: Ihr Energieverbrauch ist 1.6 mal höher als bisher gedacht. Wenn das Meereis weiter zurückgeht, wird die Jagd auf Robben schwieriger, und die Fortbewegung auf dem fragmentierten Eis und schwimmend im Wasser verbraucht noch mehr Energie. Dies wird die Eisbären weiter unter Druck setzen.

Eisbären brauchen soviel Energie, dass sie ihren Bedarf fast ausschliesslich über Robben decken können, weil diese von einer enorm energiereichen Fettschicht eingehüllt sind.

Ein anderes Paper, das vor kurzem erschienen ist, hat untersucht, woher die Nahrung der Eisbären letztlich kommt, was also am Beginn der Nahrungskette steht. Thomas A. Brown und seine Kolleginnen und Kollegen haben herausgefunden: am Ursprung liegen Algen, die im Meereis leben – und nicht etwa solche, die im freien Wasser schwimmen.

Das können die Forscher sagen, weil sie im Lebergewebe von Eisbären einen Überhang von charakteristischen Fetten der Meereis-Algen gefunden haben. Das zeigt: das Schicksal der Eisbären ist sehr eng mit dem Meereis verbunden.

Wer im November diesen Blog etwas verfolgt hat, als ich von der Forschungsfahrt des norwegischen Forschungsschiffs «Helmer Hanssen» um Spitzbergen berichtet habe, weiss: die Meereisalgen standen im Fokus der Fahrt und sie sind quasi die Lieblingspflanzen von Rolf Gradinger, dem Leiter der Fahrt.

O-Ton

Heute Mittag kam in der Nachrichtensendung Rendezvous von Radio SRF der zweite Radiobericht zur Reise der «Helmer Hanssen» in den letzten beiden Wochen.
Hören kann man in hier.
(Hinunterscrollen bis zu «Wie funktioniert das Ökosystem der neuen Arktis?»)

Kleine wissenschaftliche Flaschenpost zum Abschluss der Expedition

«For the purpose, not only of ascertaining the set of the currents in the Arctic Seas, but also of affording more frequent chances of hearing of your progress, we desire that you do frequently, after you shall have passed the latitude of 75° north, and once every day, when you shall be in an ascertained current, throw overboard a bottle, closely sealed, and containing a paper stating the date and position at which it is launched; […] and, for this purpose, we have caused each ship to be supplied with papers on which is printed, in several languages, a request that whoever may find it should take measures for transmitting it to this office.»

In Stellvertretung des Prinzregenten des Vereinigten Königreichs gab eine Kommission im Jahre 1818 Kapitän David Buchan die oben stehende Anweisung. Buchan hatte den simplen Auftrag, mit dem Schiff vom Nordatlantik via Nordpol in den Pazifik zu fahren. Weil aber die königliche Hoheit und seine wissenschaftlicher Berater doch ahnten, dass das vielleicht nicht gelingen könnte, gaben sie Buchan die Anweisung, täglich eine Flaschenpost mit seiner Positionsangabe ins Meer zu werfen.

Nun, wir sind guten Mutes morgen heil in Tromsø anzukommen (um 10:26 prophezeit der Bordcomputer), trotzdem schicken wir per Internet eine kleine Flaschenpost ab, in der Expeditionsleiter Rolf Gradinger die wichtigsten Ergebnisse der Fahrt durchgibt – oder zumindest jene, die schon feststehen (von mir aufgezeichnet):

«1. Wir fanden auf der Westseite Spitzbergens noch auf über 80° Nord sehr warmes Wasser aus dem Atlantik – bis 4° Grad warm. Es hat also auch diesen November einen grossen Wärmetransport vom Atlantik in nördliche Gewässer gegeben. Wahrscheinlich beginnt das Meer erst einen Monat später zu gefrieren als früher.

2. Wir haben grosse Unterschiede gesehen zwischen den warmen Gewässern westlich von Spitzbergen und den kalten östlich davon. Im kalten Wasser sind wir auf viele Jugendstadien von Bodenorganismen gestossen, den Larven von Seeigeln, Seegurken und Muscheln. Die Planktonkrebschen (Copepoden) waren sehr aktiv, wir haben auch Männchen von Ruderfusskrebschen gefunden. Das weisst darauf hin, dass der November für die Fortpflanzung dieser Arten sehr wichtig ist. Das hat mich überrascht. Der dunkle Winter scheint für die Organismen in den kalten Gewässer noch viel wichtiger zu sein, als für jene in den wärmeren auf der Westseite.

3. Zusammengenommen ergibt das ein bedenkliches Szenario für die Zukunft, in dem die Kaltwasserarten doppelt unter Druck kommen könnten: Durch immer wärmeres Wasser, das sie in der Entwicklung behindert. Und durch einen Einstrom von atlantischen Arten, die mit dem Warmwasser nach Norden kommen und dort dank der Wärme sich immer besser durchsetzen können.»

Rolf Gradinger ist Spezialist für Algen, die im Meereis leben. Und so bin ich ungemein stolz, dass ich etwas für ihn Neues in diesem Feld entdeckt habe – und zwar im Expeditionsbericht von Salomon August Andrée. Andrée startete im Juli 1897 mit einem Ballon von der Insel Danskøya im Norden des Archipels Spitzbergen und wollte damit den Nordpol erreichen. Die Fahrt dauerte nur drei Tage, dann mussten Andrée und seine zwei Begleiter auf dem Meereis notlanden.

Die nächsten zweieinhalb Monate kämpften sie sich über Packeis, um eine Insel zu erreichen. Das gelang ihnen sogar, am 5. Oktober 1897 erreichten sie das unwirtliche Gletschereiland Weisse Insel. Doch davon erfuhr die Welt erst 33 Jahre später, als dort ihr letztes Lager samt ihren sterblichen Überresten zufällig entdeckt wurde. Gefunden wurden auch Tage- und Logbücher der drei Männer.

In einem schrieb Andrée, dass sein Kollege Nils Strindberg auf die Idee gekommen war, eine Suppe zu machen aus den Algen, die sie an den Rändern des Eises entdeckt hatten. Sie fertigten auch einen Kuchen aus diesen Algen, Hefe und einem Ingredienz namens «Mellin’s Food». Beides habe exzellent geklappt, schrieb Andrée und fuhr fort: «Die Meergemüse-Suppe sollte als wichtige Entdeckung für Arktisreisende angesehen werden.»

Leider hat die Suppe den Männern nicht das Leben gerettet. Nach Auswertung der gefundenen Notizen und den Spuren vermuteten die Wissenschaftler 1930, dass die drei Polreisenden zu wenig warme Kleider dabei hatten und im beginnenden Polarwinter erfroren waren.

 

«Forschungsfahrten im Winter sind schwierig und ungewöhnlich»

In wenigen Stunden geht die Fahrt los. Die Forscher haben sich im University Center von Spitzbergen (UNIS) versammelt, um die ersten 24 Stunden der Fahrt genauer zu besprechen. Alle wollen ihre Proben nehmen, die Zeit auf der Fahrt ist knapp, darum muss geplant werden.

Der wissenschaftliche Leiter der Fahrt, Rolf Gradinger, hat mir kurz die Ziele der Fahrt erklärt:

Warum ist es wichtig, mehr über das Leben während der Polarnacht herauszufinden?

Die Fahrt wird bis über 80° N gehen – werden wir auf Meereis stossen?

Ist es normal, dass es um diese Jahreszeit hier kaum Meereis gibt?

Erwarten Sie, dass Sie und Ihre Kollegen auf dieser Fahrt Veränderungen bei den kleinen Lebewesen im Meer feststellen können?

Die Mikroorganismen, die Rolf Gradinger erwähnt hat:

• Phytoplankton: Kleinstlebewesen, die im Meer treiben, und aus Sonnenlicht Energie gewinnen können. Algen gehören dazu, aber auch manche Bakterien oder Einzeller. Sie alle bilden die Basis der Nahrungskette im Meer. Ohne sie keine Dorsche, keine Haie, keine Wale.

• Zooplankton: Kleinlebewesen, die zum Teil rudern können, die aber hauptsächlich mit der Strömung treiben. Dazu gehören kleine Krebschen (zum Beispiel Krill), manche Wurmarten, Einzeller. Zooplankton kann das Sonnenlicht nicht zur Energiegewinnung nutzen, es lebt also davon, andere zu fressen.

(Wikipedia: πλαγκτόν «das Umherirrende»)

Von Negativ-Rekorden

Das Meereis in der Arktis hat in den letzten 30 Jahren deutlich abgenommen. Im Sommer und im Winter. Forscher befürchten, dass die Arktis bis in 20, 30 Jahren im Sommer eisfrei sein könnte. Allerdings sind Prognosen für einzelne Jahre schwierig. Letztes Jahr, zum Beispiel, war das Minimum Ende Sommer sehr tief (gelbe Kurve) und es schien so weiter zu gehen: Im Frühwinter entstand nur wenig neues Eis. Im November gab es sogar Tage, in denen das Eis wieder schmolz – sehr ungewöhnlich. Der Winter 2016/2017 war in manchen Teilen der Arktis sehr warm, zum Beispiel in Spitzbergen. Am Nordpol herrschte um die Weihnachtszeit herum fast Tauwetter.

Ausdehnung des arktischen Meereises in sieben ausgewählten Jahren (Sea Ice Remote Sensing, Universität Bremen)

Trotzdem gab es im Sommer darauf, also dieses Jahr, keinen neuen Negativrekord (rote Kurve) – der gehört immer noch dem Jahr 2012 (grüne Kurve). Der Sommer 2017 war relativ kühl, das stabilisierte das Eis. Gegenwärtig ist die Ausdehnung etwa so wie im Rekordjahr 2012. Ich bin gespannt, wie es sich weiter entwickelt.

Tägliche Angaben zur Meereisausdehnung gibt es auch auf der Webseite des US-amerikanischen National Snow & Ice Data Center.

In Nacht und Eis

Die Arktis verändert sich rasant. Mancherorts ist die jährliche Durchschnittstemperatur um 5°C bis 6°C gestiegen. Das Meereis hat stark abgenommen. Diese Veränderungen oder Störungen haben drastische Auswirkungen, Arktisforscher sprechen von «einer neuen Arktis». Zum Beispiel Rolf Gradinger von der Universität Tromsø:

Vom 17.  bis 28. November wird das norwegische Forschungsschiff «Helmer Hanssen» die Insel Spitzbergen umrunden, an Bord Rolf Gradinger und weitere Wissenschaftler. Sie wollen herausfinden, wie die neue Arktis funktioniert. Unter anderem werden sie untersuchen, wie sich in der Polarnacht auf dem Meer das neue Eis bildet.

Bis die «Helmer Hanssen» am 17. November von Longyearbyen ablegen wird, ein paar kurze Blogeinträge. Der erste handelt vom Meereis im Kongsfjord an der Westküste Spitzbergens.

Meereis bildet sich im Winter und es schmilzt im Sommer. Dies gilt eigentlich auch für die «neue Arktis». Allerdings werden die Extreme extremer, und es gibt zunehmend unerwartete Entwicklungen: Regen im Winter zum Beispiel, Minusrekorde beim Meereis im Sommer, und im November 2016 schmolz das Eis auf dem Ozean zeitweise, statt sich neu zu bilden.

Sebastian Gerland bohrt ein Loch ins Meereis, um seine Dicke zu messen.

Auf dem Bild oben ist der Meereisforscher Sebastian Gerland des Norwegischen Polarinstituts auf einem Stück Meereis zu sehen, das er im Mai 2017 in einer Bucht des Kongsfjords im Westen Spitzbergens aufgespürt hat.

Ich habe Gerland damals begleiten können. Die Reportage dazu gibt’s bei Kontext und beim Wissenschaftsmagazin von Schweizer Radio SRF.
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